Die Verhandlungen über das neue EU-Regelwerk für Wasserstoff stehen vor dem Abschluss. Offen ist nur noch, wie die zukünftigen Eigentumsstrukturen geregelt werden.
Die Europäische Kommission legte im Dezember 2021 ihr Paket für den Wasserstoffmarkt und den dekarbonisierten Gasmarkt vor, welches den Weg für grünen Wasserstoff und erneuerbare Gase wie Biomethan als Ersatz für fossiles Gas ebnen sollte.
Zwei Jahre später stehen die Verhandlungen kurz vor dem Abschluss.
Am Montag (27. November) werden die Verhandler des Europäischen Parlaments und der EU-Staaten – vertreten durch die spanische EU-Ratspräsidentschaft – versuchen, eine letzte Frage zu klären: Wie sollen die Eigentumsrechte an der künftigen europäischen Wasserstoffinfrastruktur geregelt werden?
Die Frage, die im EU-Jargon „Unbundling“ (Entflechtung) genannt wird, bezieht sich auf die eigentumsrechtliche Trennung der Infrastruktur von der Energieerzeugung. Dies bedeutet jedoch, dass nicht ein und dasselbe Unternehmen Strom oder Gas produzieren und gleichzeitig Eigentümer der Netze sein kann.
Die Europäische Kommission hatte ursprünglich strenge „Unbundling“-Vorschriften für Wasserstoffnetze vorgeschlagen, die es Gasunternehmen untersagt hätten, ihre bestehende Pipeline-Infrastruktur auf Wasserstoff umzustellen.
Das Europäische Parlament, vertreten durch seinen Chefverhandler Jens Geier (SPD), beschloss, diese Regel zu streichen, um die Gasunternehmen zu ermutigen, ihre Infrastruktur umzurüsten. Der Ansatz des Parlaments „ermöglicht die Umstellung der Gasnetze auf Wasserstoff“, erklärte der Sozialdemokrat.
Die EU-Staaten vertreten hingegen die Position, den Kommissionsvorschlag zur Entflechtung aufrechtzuerhalten. Die Uneinigkeit zwischen dem Parlament und den EU-Staaten sind zum letzten großen Hindernis für das Gesetz geworden.
Warum ist Entflechtung wichtig?
Es gibt zwei Arten der Entflechtung. Die sogenannte „vertikale“ Entflechtung stellt sicher, dass die Wasserstoffproduzenten nicht direkt am Gastransport beteiligt sind. Nach Ansicht der Europäischen Kommission werden so Anreize zur Diskriminierung konkurrierender Hersteller verhindert.
Die „horizontale“ Entflechtung stellt sicher, dass die Gasnetzbetreiber nicht direkt am Wasserstoffnetz beteiligt sind. Dies würde sowohl eine Quersubventionierung auf Kosten der Gasverbraucher als auch eine unwirtschaftliche Umwidmungder Gasnetze für Wasserstoff auf Kosten der Steuerzahler verhindern.
Deutschland sei für diese kumulierte Dysfunktionalität berüchtigt, „wo sage und schreibe 880 Unternehmen die Gas- und Stromnetze für Privathaushalte auf ziemlich intransparente und ineffiziente Weise betreiben“, erklärt Andreas Jahn, Senior-Experte beim Think-Tank Regulatory Assistance Project (RAP).
Strenge Entflechtungsregeln „wären eine perfekte Gelegenheit gewesen, die gleichen organisch gewachsenen Probleme der Gas- und Stromregulierung in der entstehenden Wasserstoffregulierung zu vermeiden“, so Jahn.
Esther Bollendorf, Expertin für Gaspolitik bei der Umweltorganisation CAN Europe, stimmte dem zu und meinte, dass strenge Entflechtungsregeln „Interessenkonflikte für Gasversorger vermeiden würden“, die ihre Mietverträge für die bestehende Infrastruktur verlängern wollen.
Außerdem würden dadurch die Verbraucher davor bewahrt, „in Zukunft für ungenutzte und übermäßig ausgebaute Infrastrukturen zu zahlen“, argumentierte sie.
Laut mehreren involvierten Quellen könnte die Entflechtung jedoch entsprechend der Verhandlungsposition des Europäischen Parlaments gestrichen werden.
Mehrere Mitgliedstaaten, darunter Deutschland wo das dysfunktionale System einen akzeptieren Status quo in den Kommunen darstellt, haben sich dafür ausgesprochen. Weitere verbündete Länder sind unter anderem Österreich sowie Ungarn, Bulgarien und die Slowakei.
Frankreich und die Niederlande haben sich für die Beibehaltung des im März vereinbarten gemeinsamen Standpunkts des Ministerrats ausgesprochen, der die Entflechtungsanforderungen aufrechterhalten würde.
Nach einem Treffen der EU-Botschafter am Freitag (24. November) haben mehrere EU-Länder ihre Haltung für die Verhandlungen mit dem Parlament am Montag auf Anfrage nicht näher erläutern wollen.
Drei mögliche Szenarien
Verschiedene Quellen weisen auf drei mögliche Szenarien hin.
Die erste wäre die völlige Abschaffung der horizontalen Entflechtungsvorschriften, sodass die Betreiber von Gas- und Stromnetzen Wasserstoff direkt und ohne rechtliche Unterscheidung einführen könnten, was dem Standpunkt von Geier entspräche.
Die zweite Möglichkeit wäre, die Entflechtungsanforderungen nur auf die überregionale Netzinfrastruktur zu beschränken und den EU-Staaten zu erlauben, die Regelung fünf Jahre später umzusetzen.
Das dritte Szenario würde die Anforderungen wie von der Kommission vorgeschlagen beibehalten, aber kleine Unternehmen mit weniger als 100.000 Kunden durch die Einführung einer sogenannten „De-minimis“-Regelung ausnehmen.
Da kaum jemand davon ausgeht, dass selbst der größte Wasserstoff-Cluster 100.000 Abnehmer haben wird, würde die Verpflichtung de facto völlig entfallen, bis die EU-Regulierungsbehörde ACER die Vorschriften zehn Jahre später überprüft.
In jedem Fall dürfte das Ergebnis den Verbrauchern nicht zugutekommen. „Um den Wettbewerb zu gewährleisten, müssen die Produktion und der Transport von Wasserstoff oder Gas getrennt von verschiedenen Unternehmen durchgeführt werden“, forderte die Verbraucherzentrale vzbv.
Im schlimmsten Fall könnte sich in jedem EU-Land eine ähnliche Situation wie in Deutschland entwickeln, mit vielen kleinen Betreibern.
Das würde bedeuten, dass die Infrastruktur „auf wirtschaftlich ineffiziente Art und Weise betrieben wird, mit wenig Möglichkeiten für wichtige Kontrollen“, die von verschiedenen Aufsichtsbehörden nur begrenzt kontrolliert werden, sagt Andreas Jahn von RAP.
In Deutschland zum Beispiel überwachen derzeit etwa 20 Regulierungsbehörden die Gas- und Strominfrastruktur.
Eine neue EU-Regulierungsstruktur für Wasserstoffnetze?
Der Konflikt darüber, wer die Verantwortung für die Wasserstoffinfrastruktur übernehmen soll, spielt auch im zweiten Teil des Gas- und Wasserstoffpakets, der Verordnung, eine Rolle.
Eine weitere Möglichkeit zur Bekämpfung potenzieller Interessenkonflikte wäre die Einrichtung einer unabhängigen Regulierungsbehörde für die Infrastruktur. Zu diesem Zweck hat die Kommission die Einrichtung einer neuen Regulierungsbehörde, das Europäische Netz der Wasserstoff-Netzbetreiber (ENNOH), vorgeschlagen.
Diese Option wird von Verbänden für erneuerbare Energien, Umweltschutzorganisationen und dem Think-Tank E3G befürwortet.
Angesichts des starken Widerstands des Parlaments und seines Verhandlungsführers Jerzy Buzek, ehemaliger polnischer Ministerpräsident von der Europäischen Volkspartei (EVP), ist es jedoch unwahrscheinlich, dass das ENNOH das Licht der Welt erblicken wird. Stattdessen könnten die Aufgaben von ENNOH von ENTSO-G, dem Verband Europäischer Fernleitungsnetzbetreiber für Gas, übernommen werden.
„Das nächste Jahrzehnt wird zeigen, ob eine separate Verwaltungsstruktur (ENNOH) notwendig sein wird“, erklärte das Parlament.
Quelle : Euractiv