Während der Coronavirus-Pandemie gingen bei den Landesärztekammern Hunderte Beschwerden über Ärzte ein. Diese führten allerdings nur in Einzelfällen zum Verlust der Approbation.
Die Coronavirus-Pandemie führte in ganz Deutschland zu zahlreichen Beschwerden über Ärztinnen und Ärzte. Ein prominentes Beispiel ist etwa eine Weinheimer Ärztin, die nach Angaben des Landesgerichtes Mannheim insgesamt mehr als 4.370 Atteste zur Maskenbefreiung ausgestellt haben soll, ohne die Patienten persönlich untersucht zu haben. Im Februar verurteilte das Landgericht Mannheim die Frau zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren auf Bewährung. Zudem muss sie demnach rund 18.000 Euro im Rahmen der Bewährungsauflagen bezahlen.
Das zeitweilige Berufsverbot, das das Amtsgericht Weinheim im ersten Prozess gegen die Ärztin verhängt hatte, hob das Landgericht dagegen auf. Damit ist das Verfahren aber noch nicht zu Ende: Sowohl die Verteidigung als auch die Staatsanwaltschaft legten Revision ein. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
Hunderte Beschwerden bei Landesärztekammern
Dabei handelt es sich keineswegs um einen Einzelfall. Einer Recherche des ARD-faktenfinders zufolge erhielten die zuständigen Landesärztekammern der Bundesländer in Zusammenhang mit der Coronavirus-Pandemie Hunderte Beschwerden – etwa zur Ausstellung falscher Atteste zur Befreiung von der Maskenpflicht. In vielen Bundesländern lag die Zahl der Beschwerden in Zusammenhang mit der Corona-Pandemie im niedrigen zweistelligen Bereich, etwa in Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Bremen, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und dem Saarland. Besonders viele Beschwerden gingen dagegen in Baden-Württemberg (240), Thüringen (450), Sachsen (300), Bayern (1.000) und Berlin (528) ein.
Dass die Zahl der Beschwerden in Summe allerdings nicht zwangsläufig Rückschlüsse auf die Zahl der Ärztinnen und Ärzte geben, denen ein Fehlverhalten vorgeworfen wurde – darauf weist etwa die Ärztekammer Nordrhein hin. In einer Stellungnahme heißt es etwa, es habe zahlreiche Beschwerden zur gleichen Person gegeben. Das teilte auch die Bayerische Landesärztekammer mit.
Und auch wie viele Approbationen tatsächlich in Zusammenhang mit der zurückliegenden Pandemie aberkannt werden, ist noch nicht abschließend geklärt. Dies bestätigen auch die Antworten der zuständigen Approbationsbehörden. Demnach laufen in mindestens sieben Bundesländern noch Approbationsverfahren in dem Zusammenhang.
Verschiedene Zuständigkeiten, langwierige Prozesse
Bis es in Deutschland überhaupt zum Entzug der Approbation kommt, durchlaufen die entsprechenden Fälle einen langwierigen Prozess – und zwar bei den jeweiligen Stellen in den jeweiligen Bundesländern. Diese Zuständigkeit liegt oft bei den Landesämtern für Gesundheit der jeweiligen Bundesländer, teilweise aber auch bei Bezirksregierungen wie etwa in Bayern oder Nordrhein-Westfalen.
Das Hessische Landesamt für Gesundheit und Pflege, die Approbationsbehörde in Hessen, schrieb auf Nachfrage des ARD-faktenfinders, approbationsrechtliche Schritte würden in der Regel in einem mehrjährigen gerichtlichen Verfahren aufgegriffen. Das sei darin begründet, dass mit dem Entzug oder dem Ruhen einer Approbation gravierend in berufliche, wirtschaftliche und persönliche Bereiche der Lebensführung der Betroffenen eingegriffen werde. So trete die Anordnung erst dann in Kraft, wenn keine weiteren Rechtsmittel mehr eingelegt werden könnten.
Nachweis von Unwürdigkeit und Unzuverlässigkeit
Dass die Hürde für einen Entzug der Approbation hoch ist, bekräftigt auch der auf Medizinrecht spezialisierte Rechtsanwalt Martin Stellpflug. Er sieht das in Artikel 12 des Grundgesetzes begründet – demnach haben alle Deutschen das Recht, “Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen”. Um dieses Recht einzuschränken, müsse der Staat zurecht erhebliche Gründe haben.
Die Aufhebung der Approbation ist in Paragraf 5 der Bundesärzteordnung geregelt. Demnach ist die Approbation zu widerrufen, wenn sich die Ärztin oder der Arzt eines Verhaltens schuldig macht, “aus dem sich ihre oder seine Unwürdigkeit oder Unzuverlässigkeit zur Ausübung des ärztlichen Berufs ergibt”.
Das Ausstellen falscher Atteste während der Coronavirus-Pandemie hat laut Stellpflug die Besonderheit, dass dabei mehrere Vorwürfe tangiert werden. So sei es auf der einen Seite ein Zeichen von Unzuverlässigkeit, Pflichten zu verletzten – wie etwa, Patientinnen und Patienten nicht untersucht zu haben und dennoch Atteste auszustellen. “Gleichzeitig berührt es aber auch die Frage der Unwürdigkeit, weil gerade der Umstand, dass es ärztliche Atteste gibt, die ja in der Gesellschaft, im Sozialleben, in ganz vielen Bereichen ganz besonders wichtig sind, zeigt, dass dem Arzt ein besonderes Vertrauen entgegengebracht wird.”
Der lange Weg zum Berufsgericht
Dabei ist der Entzug der Approbation laut Stellpflug die ultima ratio. Bevor es dazu kommt, gibt es andere Sanktionsmöglichkeiten, die in einem komplexen Verfahren verhängt werden. Verstöße – etwa das Ausstellen falscher Atteste – können die Landesärztekammern laut der Bundesärztekammer als sogenannte Berufsvergehen ahnden. Mögliche Konsequenzen reichen von einer Mahnung über Rügen und Ordnungsgelder bis hin zur Anrufung von Berufsgerichten. Diese Gerichte sind in den meisten Bundesländern bei Verwaltungsgerichten angesiedelt.
Ich glaube schon, dass die Ärztekammern gut beraten sind, bei diesen falsch ausgestellten Attesten hart ranzugehen, weil es aus meiner Sicht wirklich die Integrität des Berufsstandes untergräbt.
Martin Stellpflug, Rechtsanwalt
Laut Rechtsanwalt Stellpflug können im berufsgerichtlichen Verfahren Strafen von bis zu 100.000 Euro verhängt werden. “Das ist schon ganz schön viel und auch sehr unüblich, dass dieser hohe Rahmen ausgeschöpft wird.” Dabei schließen die einen Sanktionen die anderen laut Bundesärztekammer nicht aus: “Erfolgt eine strafrechtliche Verurteilung wegen einer Tat, die gleichzeitig einen Berufsrechtsverstoß darstellt, ist zu prüfen, ob neben der Strafe zusätzlich noch eine berufsrechtliche Sanktion zu verhängen ist.”
Aber auch Haftstrafen sind laut der Bundesärztekammer mögliche Konsequenzen: Das Ausstellen sogenannter “Blanko-Atteste” kann mit einer Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren oder mit einer Geldstrafe belegt werden. Eine Strafbarkeit wegen des Ausstellens unrichtiger Gesundheitszeugnisse kommt demnach auch in Betracht, wenn falsche Impfnachweise oder Testzertifikate ausgestellt werden. Handele die Ärztin oder der Arzt gewerbsmäßig – also in der Absicht, sich eine Einnahmequelle zu verschaffen – kann ein besonders schwerer Fall mit einer Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren drohen.
Berufsverbote haben hohe Hürden
Auch Berufsverbote sind eine Möglichkeit. Laut der Staatsanwaltschaft Mannheim kann nach Paragraf 70 des Strafgesetzbuches durch ein Gericht ein Berufsverbot angeordnet werden, “wenn jemand wegen einer Tat, die er unter Missbrauch seines Berufs begangen hat, verurteilt wird und die Gesamtwürdigung des Täters und der Tat die Gefahr erkennen lässt, dass er bei weiterer Ausübung des Berufs entsprechende erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird”.
Hierbei handle es sich allerdings um ein in der Regel zeitlich befristetes Berufsverbot und nicht um einen Entzug der Approbation. Das ist laut Rechtsanwalt Stellpflug das Schlimmste, was in dem berufsgerichtlichen Verfahren passieren kann. Wenn ein Berufsgericht die Unwürdigkeit festgestellt habe, widerrufe die zuständige Approbationsbehörde automatisch die Approbation. Andersrum könne die Approbationsbehörde auch von sich aus ein Verfahren einleiten. Eine Geldbuße könne sie dagegen nicht verhängen.
Schlupflöcher teils problematisch
Dass die Verfahren um mögliche Sanktionen so vielschichtig und vor allem langwierig sind, sieht Rechtsanwalt Stellpflug “grundsätzlich häufig problematisch”. Es sei aber auch ein Stück weit richtig, “weil es ja wichtige, existenzbedrohende Verfahren sind und die Verwaltung soll auch sorgfältig arbeiten”.
Erhebliche Verzögerungen dieser Prozesse entstünden demnach etwa, wenn Ärztinnen und Ärzte das Bundesland wechselten, erklärt Stellpflug. Dann verliere man die Zugehörigkeit in der für das Land zuständigen Kammer – und “dann beginnt das wieder von vorne”. Wer sich ins Ausland absetze, könne einer Strafe ebenfalls entgehen, denn abgeurteilt werden könne nur in Deutschland, führt Stellpflug aus. Auf der anderen Seite bestehe in diesem Fall aber auch keine Gefahr mehr für die Patienten in Deutschland – das führe dazu, “dass solche Verfahren in sich zusammenfallen können”.
Auch Josef Holnburger beobachtet, dass Verfahren teilweise hinausgezögert wurden. Er ist Co-Geschäftsführer bei CeMAS (Center für Monitoring, Analyse und Strategie), das Informationen zu Verschwörungsideologien und Desinformation sammelt. Damit sei es sehr vielen Ärzten möglich gewesen, weiterzumachen wie zuvor.
Nach Ansicht von Holnburger waren diese sehr wichtig für die Szene um “Querdenken”. “Auch wenn sich die überwiegende Ärzteschaft sehr positiv auf die Impfung bezogen und vor der Gefährlichkeit des Coronavirus gewarnt haben, gab es einzelne Ärztinnen und Ärzte, welche Verschwörungserzählungen verbreiteten und teilweise vom Impfen gänzlich abrieten.” In der Szene genossen diese Personen laut Holnburger fast schon einen “Kronzeugen”-Status.
Reicht die Rechtslage aus?
Die rechtliche Grundlage, um Medizinerinnen und Mediziner etwa für das Ausstellen falscher Atteste zu bestrafen, schätzt Stellpflug als ausreichend ein. Im Gespräch mit dem ARD-faktenfinder erklärt er: “Ich glaube nicht, dass wir hier ein Normproblem oder ein schlechtes Recht haben.” Der bestehende Strafrahmen reicht seiner Ansicht nach aus. Dennoch könne man drüber diskutieren, ob die Strafen noch gravierender sein müssten.
Holnburger vom CeMAS beobachtet in einigen Fällen schon jetzt, dass Geldstrafen zu wenig abschrecken. Er erklärt, einige Ärztinnen und Ärzte, die mit einer Geldstrafe belegt wurden, würden teils mit Spenden unterstützt, um diese Strafen zu kompensieren. “Geldstrafen verlieren eine abschreckende Wirkung, wenn man sich sicher ist, dass man viele Personen hat, die einen monetär unterstützen, egal wie hoch die Strafe ist”, so Holnburger.
Holnburger plädiert daher für “schnellere und andere Antworten der Gerichte – beispielsweise, dass Geldstrafen verbunden sind mit einer Spende an eine gemeinnützige Einrichtung, welche sich beispielsweise für die gesundheitliche und wissenschaftliche Aufklärung über ansteckende Viruserkrankungen und die Vorteile von Impfungen einsetzt”.